Die 6 Darshanas- vedische Sichtweisen od. Philosophiesysteme (2024)

Die Veden sind uralt und sie sind die Wurzel der indischen Philosophie und des Hinduismus, es ergeben sich aus den Veden sehr unterschiedliche Sichtweisen die als “Darshanas” bezeichnet werden.

Darshana – Sichtweisen mit Bezug zu den Veden

Das Wort “Darshana” ist vielfältig und bedeutet etwa:

  • Anschauung, Sichtweise, Anblick, Betrachtung, Beobachtung, Erlebnis, Erkenntnis,…

Es leitet sich von dem Wort “Drish” ab, welches “sehen” bedeutet und es wird oft im Alltag angewendet, so sagt man z.B. wenn man in einen Shiva-Tempel geht “Darshan von Shiva bekommen” also von der dort installierten Shivamanifestation “gesehen werden” bzw. diesen sehen, also “Darshana” im Sinne von Gottesschau. Eine Gottesschau kann man auch bekommen in tiefer Meditation oder anderen besonderen Bewusstseinszuständen, man spricht dann auch von “Darshan haben”. Oder man sagt auch wenn man einen erleuchteten Meister besucht “zum Darshan bei X gehen”, also seinen Anblick erleben, auch hier schaut man etwas Göttliches oder wird davon gesehen.

bei diesem Artikel geht es aber um die klassischen Betrachtungsweisen die aus den Veden resultieren und eben als “Darshanas” bezeichnet werden. Diese “Shad Darshanas”, also sechs Darshanas werden als Astika (Orthodox) bezeichnet, weil sie die Authorität der Veden anerkennen bzw. sie als maßgeblich betrachtet werden. Es gibt natürlich in der indischen Philosophie noch viele weitere Arten die Welt zu sehen und zu beschreiben, vor allem wäre da das Tantra zu nennen welches sich nicht auf den vedischen Ansatz bezieht und somit als Nastika (unorthodox) bezeichnet wird. Und es gibt aber auch noch weitere Sichtweisen mit Bezug auf die Veden, so z.B. das “Achintya Bheda Abheda” oder auch das “Shaiva Siddhanta”, aber klassisch sind die folgenden 6 Darshanas.

Shat Astika Darshana, 6 klassische Philosophiesysteme

für das moderne integrale Yoga sind vor allem 3 dieser Darshanas wichtig:

  • Yoga- auch gerne genauer als Raja Yoga bezeichnet, eine Mischung aus der dualistischen Samkhya Sichtweise, kombiniert mit einer offenen Vorstellung von Gott als “Ishwara” = höchstes Prinzip sowie buddhistischen, vedantischen, tantrischen und jainistischen Elementen.
  • Uttara Mimamsa- wörtlich “abschliessende Betrachtung”, bezieht sich auf den letzten Abschnitt der 4 Teile vedischer Schriften, den Upanishaden. Wird in späteren Ausprägungen meistens als Vedanta bezeichnet und ist die absolute, nonduale Sichtweise.
  • Samkhya- wörtlich “Aufzählung” oder “in allen Einzelheiten beschreibend” und es werden hier die wirklichkeitsbestimmenden Elemente analysiert und benannt, es ist eine dualistische Sicht wo das höchste Prinzip und die natur von einander getrennt sind.

Desweiteren gibt es noch 3 Darshanas die interessant sind, aber keine große Rolle für das Yoga spielen:

  • Purva Mimamsa- befasst sich mit dem Beginn der Veden und es bestimmte die Frühzeit des Hinduismus, Rituale und Befreiung von Sünden sowie Ausführen guter Taten zur Erlangung der Göttlichen Gnade spielen hier eine tragende Rolle. Auch der moderne Hinduismus ist vor allem von diesem Darshana geprägt.
  • Vaisheshika- wörtlich “sich auf Unterschiede beziehend” ist eine materialistisch-naturalistische Sichtweise.
  • Nyaya- bedeutet im Wortsinne “Norm, Regel, Logik” und hat einen dialektisch-logischen Vorgang als zentrale Methode um zu erkennen.

Diese verschiedenen Darshanas sind historisch gewachsen und sie wurden jeweils von einem großen Meister begründet der diese Sichtweisen in Texten und Disputen bekannt gemacht hat. Diese Texte sind jeweils in Sutraform geschrieben, also sehr kurz gefasste Aphorismen die möglichst präzise die Sichtweise beschreiben. Man sagt ein Verfasser solcher Sutratexte sei “so glücklich wie bei der Geburt des ersten Sohnes” wenn er es schafft seinen Text auch nur um einen Buchstaben zu kürzen. Es gibt zu jedem Sutra bestimmte Kommentar- und Analysetexte, die Bashyas gelten als besonders wichtig. Die nächste Reihenfolge ergibt sich aus dem Alter des jeweiligen Darshanas.

Begründer der einzelnen sechs Darshanas

  1. Als Grundlage des Samkhya verfasste Kapila das verloren gegangene SamkhyaSutra, jedoch beziehen sich viele weitere Meister auf diesen Text, sodas der Kern nachvollziehbar ist. Ob und wann Kapila gelebt hat ist umstritten, aber er wird in vielen Schriften erwähnt, so z.B. auch in der Bhagavad Gita. Auch spielt er eine Rolle bei der Entstehungsgeschichte der Ganga,
  2. Das Purva Mimamsa bezieht sich auf das PurvaMimamsaSutra des Rishi Jaimini, der vor allem über “Dharma” schreibt, also rechtschaffenes, pflichtgemäßes Handeln.
  3. Zum Ursprung des Uttara Mimamsa wird meist Vyasa benannt, der auch Autor bzw. Odner der Veden gewesen ist, wobei der entscheidende Quelltext das BrahmaSutra ist, welches auch als VedantaSutra bezeichnet wird. Der Autor dieses Werkes ist Badarayana, wobei dieser eine Erscheinung Vyasas gewesen sein soll. Zur historischen Entwicklung des Vedanta, siehe mein Artikel über die Vedanta Schulen.
  4. Die Sichtweise des Yoga beruht auf das YogaSutra des Patanjali. Die Philosophie des YogaSutra wird im Darshana zusammenhang einfach als “Yoga” bezeichnet, sie hierzu mein Artikel über die vielen Bedeutungen des Begriffes “Yoga”.
  5. Das System Vaisheshika wurde von Kanada Kashyapa im VaisheshikaSutra begründet.
  6. Die Lehre des Nyaya geht auf Aksapada Gautama zurück, der das NyayaSutra schrieb, es wird als eine Fortführung des Vaisheshika betrachtet.

Diese 6 Darshanas werden meistens in Paaren geordnet, da diese große Ähnlichkeiten aufweisen:

  • Purva Mimamsa & Uttara Mimamsa– beides unmittelbar vedisch
  • Samkhya & Yoga– beides dualistisch und mit vergleichbaren Konzepten
  • Nyaya & Vaisheshika– beides materialistisch & naturwissenschaftlich orientiert

Zu den Unterschieden und Besonderheiten der einzelnen Darshanas hier noch genauere Erläuterungen.

  • Purva Mimamsa ist die am weitesten im Hinduismus verbreitete Sichtweise die auch der christlich-kirchlichen Sicht ähnelt. Punya und Paapa sind zwei zentrale Begriffe, Sünde und Verdienst die uns dann in Himmel oder Hölle bringen, hier zwar mehr im Bezug zur Reinkarnation aber vergleichbar. Durch das Ausüben korrekter Rituale und dem Folgen von Dharma (Rechtschaffenheit) bekommt man Gottes Gnade. Die vedischen Texte werden als Apaurusheyatva betrachtet, also nicht von Menschen gemacht, Vyasa hat sie lediglich geordnet und aufgeschrieben.
  • Uttara Mimamsa befasst sich mit dem letzten Abschnitt der Veden, den mystisch orientierten Upanishaden. Die Lehre wird als Vedanta bezeichnet, wobei es davon höchst unterschiedliche Ausprägungen gibt. Am bekanntesten ist das Advaita Vedanta des Adi Shankaracharya, welches monistisch ist, also nondual.
  • Samkhya ist atheistisch und dualistisch, es gibt keinen Gott im engeren Sinne und es gibt eine klare Trennung zwischen Bewusstsein und Materie. Die wesentlichen Konzepte aus dem Samkhya sind: die Dualität von Purusha und Prakriti, die Idee der 3 Gunas (Wirkkräfte) und Satkāryavāda, die Idee, dass der Effekt bereits in der Ursache vorhanden ist. Das Samkhyasystem hat großen Einfluss geübt auf die anderen Denkweisen der Darshanas, die allesamt später definiert wurden.
  • Yoga bedient sich einiger Lehren des Samkhya und ist dualistisch, also der Mensch ist normaler Weise von Gott getrennt, Yoga betont aber die Möglichkeit durch spirituelle Praxis zur Einheit zu kommen. Wesentliche Konzepte sind Ashtanga, Kriya, Yamas, Samyama.
  • Vaisheshika betrachtet die Welt als vollkommen abhängig von den Naturgesetzen, ein Zusammenspiel von Atomen und Energien. Das Ziel des Lebens ist bloß Genuß, ohne dabei andere im Vergnügen zu stören. Hat große Ähnlichkeit mit dem modernen westlich-wissenschaftlichen Denken, wobei es hier ein ordnendes Prinzip gibt welches man auch als Gott bezeichnen könnte.
  • Nyaya versucht durch Logik zu Erkenntnissen zu kommen und hat dazu eine Vorgehensweise entwickelt, auch wenn die rein materialistisch-rationale Sicht wenig Popularität in Indien hatte, so wurde hat die Methodik jedoch viele andere Systeme beeinflusst.

Insgesamt finde ich es gut und wichtig sich nicht ausschliesslich auf eine Weltsicht festzulegen, denn die Wahrheit ist definitiv größer als jedes Konzept es zu beschreiben vermag!

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